Nicht die Ästhetisierung der von ihm geschaffenen Objekte, sondern aisthesis, das Erkennen mit allen Sinnen und die erweiterte Wahrnehmung durch Inter-Aktion mit den Objekten: Mit der Überzeugung, dass die geistigen Schöpfungen aufs Engste mit den sensorischen Ereignissen verknüpft sind und sich in diesen reflektieren, ist Peter Vogel an seine Kunst herangegangen.

Wenn Kunst Wissen schafft, ist Kunst Wissenschaft. Dies ist in einer neuen und über die Betrachtungen der Kunstwissenschaft hinausgehenden Bedeutung: Einer solch ungewohnten Zuschreibung der Kunst als Wissenschaft und der Anwendung wissenschaftlicher Vorgehensweisen in der Kunst hätte Peter Vogel zugestimmt: Er selbst hat in seinem umfassenden Werk und in seiner Person als Wissenschaftler und als Künstler beide Disziplinen aufs Engste miteinander vereint. Um sich von einer rein anwendungsorientierten, eingeschränkten naturwissenschaftlichen Forschung zu befreien hat er sich als Forscher für die uneingeschränkte Methodik und Sprache der Kunst entschieden. Eine seiner großen Fragestellungen als Künstler war, die neuronal und psychisch bedingten Reaktionsweisen des Menschen in seinem Verhältnis zur Maschine als seinem eigenen Konstrukt und Gegenüber zu erforschen und diese dem Betrachter seiner Objekte als interaktive experimentelle Versuchsanordnungen erfahrbar zu machen. Die nachfolgenden Anmerkungen zum Werk Peter Vogels im naturwissenschaftlichen und künstlerischen Kontext seiner Zeit, stützen sich auf seine persönlichen Mitteilungen in den letzten fünf Monaten vor seinem Tod.

In den Textbeiträgen der Kataloge zu seinen großen Ausstellungen sind die künstlerischen Vorgehensweisen Peter Vogels immer wieder eingehend analysiert und dargestellt worden. Was bereits geschrieben ist, sollte nicht in extenso wiederholt werden, so Peter Vogel noch vor wenigen Wochen. Deshalb sei gleich zu Beginn dieses Beitrags in wenigen Worten zusammengefasst, was über das Werk von Peter Vogel in diesen Publikationen im Detail nachgelesen werden kann. Der 1937 in Freiburg im Breisgau geborene Peter Vogel wird darin ohne jeden Zweifel als einer der großen Pioniere der elektronischen Kunst, genauer, als Pionier der interaktiven Klangkunst gesehen. Die von ihm geschaffenen Objekte erzeugen und reagieren auf Klang, auf Bewegung und auf Licht, sie sind musikalisch und performativ, phantasievoll, ihr Verhalten ist von präzisen Regeln bestimmt und dabei immer auch dem Zufall anheim gegeben, sie sind experimentell, kalkuliert und geheimnisvoll, sie werden erst durch die Interaktion mit dem Betrachter zum Leben erweckt und sie vollenden sich immer wieder auf andere Weise in der Interaktion ihres Betrachters.

Grundsätzlich wird die Kunst Peter Vogels als dem Betrachter leicht zugänglich dargestellt, als anregend und durchgehend spielerisch. Sie eigne sich besonders gut für eine spielerische Vermittlung an Kinder und Jugendliche; und auch Erwachsene hätten ihre große Freude daran. Es ist insbesondere dieser letztgenannte, zutreffende Aspekt des Spielerischen, der zwar von Peter Vogel durchaus gewollt war und von seinen Autoren oft in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen gestellt wurde, der aber als eine Art Klischee meistens den tieferen Blick auf die seiner Arbeit zugrunde liegenden Fragen und Absichten verstellt hat. Denn Peter Vogel war als Künstler vom Ansatz her grundsätzlich auch ein Forscher. Und als solcher hat er sich in seiner Kunst wissenschaftlicher Fragestellungen und Methoden bedient, deren Entwicklung, Ausführung und Beobachtung den zum Akteur gewordenen Betrachter als improvisierend ausführenden Mit-Autor des Werks anregen sollten.

Bereits 1981 hat Peter Vogel in einem Gespräch mit Uwe Rüth die oftmals fehlende Wahrnehmung seiner Absichten thematisiert:

Nur ganz wenige Personen erkennen und verstehen meine Vorgehensweise. Die meisten sehen nur den optischen Reiz, und für sie enthält die Reaktion (der Objekte) eine Zugabe, die ein Moment der Überraschung und einen spielerischen Charme bereithält. Dass die Leute nur das eine oder nur das andere wahrnehmen, hindert mich jedoch nicht an der Weiterführung meines Werks.“ 

Ich hatte in den letzten Monaten das Glück, von Peter Vogel selbst einen tiefen Einblick in das umfangreiche Archiv an Skizzen und Notizen, Zeichnungen und schriftlichen Kommentaren, Musik- und Tanznotationen, mathematischen Berechnungen, Artikeln, Fotographien und an Klang- und Video-Aufzeichnungen zu erhalten. Diese liegen seit den 1960er Jahren als teilweise spielerische, teilweise systematische Vorbereitungen, Aufzeichnungen und Analysen seinem Werk zugrunde, in denen er seine Ideen notierte und auf Papier austestete und die seine Fragestellungen, seine Absichten und seine Arbeitsweise dokumentieren.

MULTIPLE INTERESSEN

Wie Klang, Bewegung und Licht – so lautet der Titel der ersten großen Retrospektive zum Werk Peter Vogels – in der Vielzahl seiner interaktiven Objekte, so laufen auch in Peter Vogels früher persönlicher Entwicklung unterschiedliche, stracke Interessen nebeneinander, bis sie mehr und mehr in einem komplexen Oeuvre zusammenfinden, das sich nicht nach den traditionell geltenden Gattungen der Kunst oder Musik fassen und beschreiben lässt. 
Bereits als Vierzehnjähriger wagt sich Vogel an den Eigenbau eines Tonbandgeräts, „um Musik aufzunehmen und um Klänge zu manipulieren“. Parallel hierzu beginnt er mit der Ölmalerei. Als Siebzehnjähriger reist er für Wochen mit einem Puppentheater durch England und Schottland. Und zur gleichen Zeit entwickelt er ein starkes Interesse an Psychologie, aus dem eine lebenslange Auseinandersetzung erwachsen sollte. Unmittelbar nach dem Abitur macht Vogel ein technisches Praktikum in einer Motorenfabrik und beginnt dann sein Studium der Physik an der Universität Freiburg, während er mit dem Bau eines weiteren Tonbandgeräts erste Erfahrungen mit
musique concrete macht und seine ursprünglich gegenständliche Malerei immer abstrakter wird. Die Auseinandersetzung mit Tontechnik dient Vogel nicht zuletzt dazu, seine eigenen Improvisationen am Klavier mit weiteren Stimmen und zusätzlichem Klangmaterial zu überlagern, um durch Rückführung an den Aufnahmekopf des Bandgeräts „mit sich selbst im Duett spielen zu können.“

Während seines Physikstudiums wirkt Peter Vogel als Mitglied der Studentenbühne in Freiburg. Hieraus folgen der Beginn einer Tanzausbildung, vielfältige Experimente in Bild- und Tontechnik und der Eigenbau einer komplexen elektronischen Orgel sowie die Entwicklung erster Notationen von Bewegungen und Tanzschritten.
Und wieder parallel und ergänzend hierzu drängt es ihn, in seine Ölmalerei als dritte Dimension die Zeit einzuführen. In einer Epoche, als man im Künstler noch überwiegend den Bilder schaffenden Maler oder Bildhauer gesehen hat, als Photographie, Film und Performance allgemein noch nicht im engeren Sinne zur Kunst gezählt wurden, war die Vorstellung eines unbewegten gemalten Bildes für Peter Vogel zu eng geworden. Ähnlich seinen mit Bleistift oder Tusche gezeichneten Notationen für Tanz und Musik, malt er auf der Leinwand sich von links nach rechts entwickelnde Formationen, repetitive Kürzel abstrakte Zeichen, aus deren zeilenförmigen Anordnungen hochkomplexe, sich teilweise überlagernde farbige Notationen entstehen, die er als Partiturbilder bezeichnet.
Er bedauert, dass dieser von den Betrachtern nicht in ihrer Prozesshaftigkeit, sondern – ähnlich wie gemalte Landschaften – nur als statische Bilder gesehen werden können. Vogels intensive Versuche, seine in den zeitbasierten Künsten sinnlich erfahrenen Anregungen in seine Malerei zu übertragen und dort weiter zu entwickeln, führen ihn zur Einbeziehung zusätzlicher Materialien ins Bild, etwa von Kunststoff- und Metallfolien, und schließlich bis zum Anzünden seiner Bilder. Im gezielt eingesetzten, aber unabänderlich chaotisch ablaufenden Abbrennen dieser Materialien hoffte er den zeitlichen Verlauf beobachten und im Bild festhalten zu können.
Als konsequente Weiterentwicklung dieser Experimente wird Peter Vogel wenig später hinter der gemalten Leinwand Elektronik anbringen, die zur Überraschung des näher tretenden Betrachters die Bewegung konkreter Objekte, zum Beispiel eines Gummischlauchs oder das Aufleuchten von Lichtern auf der Vorderfläche der Leinwand steuern. Die in dieser Phase noch an die bemalte Leinwand gebundenen Objekte bezeichnet Peter Vogel später als Reaktionsobjekte. In dieser Einbeziehung zeitlicher Abläufe ins Bild liegt einer der Impulse für die Entwicklung seiner Klang-, Licht- und Bewegungsobjekte

Informations-theorie und Kypernetik

Die 1960er Jahre sind auf allen Gebieten der Wissenschaften, der Gesellschaft und der Politik die Epoche eines allseitigen revolutionären Aufbruchs aus gewohnten Denkweisen, an dem vor allem Kunst und Musik, Theater und Film in vorderster Linie beteiligt waren. Unmittelbar zu Beginn des Jahrzehnts hatten sich viele Künstler der Fluxusbewegung angeschlossen. Durch Einbeziehung neuer Aktionsformen aus Musik, Theater, Film, Kunst, Literatur und vor allem den elektronischen Medien entwickelte sich eine neue radikale Kunstform, die sich zum Ziel gesetzt hatte, die Grenze zwischen den Künsten und Publikum aufzuheben.
Zeitgleich hierzu fand 1961 in Zagreb die erste von insgesamt fünf Ausstellungen unter dem Titel Nove Tendencije (Neue Tendenzen) statt, die sich – im Abstand von jeweils zwei Jahren – vor allem künstlerischen Experimenten mit neuen Technologie sowie der programmorientierten Kunst und der damit verknüpften Informationsästhetik widmeten.
Seit Beginn des Jahrzehnts hatte in Stuttgart der Informationsästhetiker Max Bense das Entstehen von computergenerierter Kunst gefördert und 1965 mit Arbeiten von Georg Nees die wohl weltweit erste Ausstellung von Computer generierter Grafik gezeigt und damit eine breite Diskussion zur Ästhetik der Computerkunst angestoßen.
Im Jahr 1968 schließlich fanden in der epochenmachenden Londoner Ausstellung Cybernetic Serendipity die von der Kybernetik inspirierten Arbeiten von Dutzenden von Künstlern/innen aus aller Welt höchste Beachtung. In ihrem Vorwort im Katalog dieser Ausstellung schreibt die Kuratorin Jasia Reichardt in direkter Bezugnahme auf Max Bense: „ Die Idee hinter diesem Unterfangen – für die ich Professor Max Bense aus Stuttgart dankbar bin – ist es, einige der schöpferischen Formen zu präsentieren, die mittels Technologie erzeugt wurden. Das Ziel ist es, ein Wirkungsfeld zu erschließen, in dem sich die Beteiligung der Künstler an den Wissenschaften manifestiert und das der Wissenschaftler an den Künsten …“

Die Ausstellung zeigte erstmals im großen Überblick Werke verschiedener Gattungen, die durch Einbeziehung algorithmischer Verfahren und mittels kybernetischer Prozesse sowie Computern entstanden waren und mit Klang, Bewegung oder Licht interaktiv auf ihre Umwelt reagierten. Gegen Ende des Jahrzehnts fasste der Physiker, Mathematiker, Science-Fiction Autor und herausragende Pionier der Computerkunst Herbert W. Franke die neuen Entwicklungen wie folgt zusammen: „Wissenschaft, Technik, Gesellschaft und Kunst sind rückgekoppelte Phänomene, die nur in bewusster Kommunikation miteinander ihrer Aufgabe gerecht werden. Kunst ist nicht nur Gegenstand, sondern ist auch Mittel dieser Kommunikation. Informationstheorie und Kybernetik verstehen sie als Wahrnehmungsprozess. Dadurch ergeben sich neue Aufgaben für die freie kreative Gestaltung …“

Auch wenn nicht bekannt ist, ob Peter Vogel die Londoner Ausstellung Cybernetic Serendicity gesehen hat, so ist davon auszugehen, dass er sich mit den zu dieser Zeit aufkommenden künstlerischen, naturwissenschaftlichen und technischen Entwicklungen mit höchstem Interesse auseinandergesetzt hat. Hierauf verweist er selbst in allen seinen Schriften, wie auch in den mit ihm geführten Gesprächen. Peter Vogels Interesse an einer Kunst mit erweiterten Sinnen kann nicht von seiner intensiven Auseinandersetzung mit den neuen Erkenntnissen in den Naturwissenschaften und seinem wachen Interesse an Psychologie, Kybernetik und Hirnforschung getrennt betrachtet werden. In seinem gesamten Werk vereinen sich diese Interessen in der Zielsetzung, die dem Verhältnis von Mensch und Maschine zugrundeliegenden neuro-physiologischen und psychologisch begründeten Verhaltensweisen zu erkunden und diese in spielerischer Erprobung dem Betrachter zugänglich zu machen.

Neuro-Physiologie

Immer wieder verweist Peter Vogel im Gespräch auf die Forschungen des renommierten Neuropsychiaters und Pioniers der Kybernetik William Grey Walter (1919-1977), der nach seiner Dissertation über die elektrische Leitung in Nerven und Muskeln in London an der Erforschung elektrischer Gehirnwellen-Muster arbeitete. Aus medizinischem Interesse hatte Walter bereits 1948 den ersten kybernetischen Roboter entwickelt, eine kleine dreirädrige, mit Photozellen und Motoren ausgestattete, aufgrund ihrer Form als „Schildkröte“ bezeichnete Machina Speculatrix, deren autonom suchende Bewegungen sich permanent an dem Wechsel von Licht und Schatten ausrichteten und die bei schwachem Ladezustand ihrer Batterie selbständig zur Ladestation zurückfinden konnte. Das Interesse Walters galt hier vor allem der Beobachtung und Erforschung elementarer Wechselwirkungen zwischen reaktiven Systemen und der Fragestellung, wie durch das Wirken einer stark beschränkten Anzahl von Sensoren und Schaltelementen (Neuronen) ein hochkomplexes Verhalten entstehen kann. Walters mit dem Elektro-Enzephalogramm (EEG) am Menschen durchgeführten Messungen lieferten wenig später grundlegende Erkenntnisse zur Struktur und Funktionsweise des menschlichen Gehirns; sie wurden 1964/65 in der Fachzeitschrift Natur publiziert und fanden breiteste Resonanz in der Fachwelt.

Zu diesem Zeitpunkt (1965) war Peter Vogel als Physiker auf dem Gebiet der medizinischen Sensorik mit verwandten Fragestellungen befasst; bei einem Freiburger Unternehmen forschte er an der Entwicklung von Messgeräten zur Fernübertragung von EKG-Messungen bei Reitern und Fallschirmspringern. Ab 1970 tritt er in die Forschungsabteilung von Hoffmann-La Roche ein, um dort im Rahmen des Projekts „Status Moriendi“ an der Entwicklung von Gehirn-Elektroden zur neurologischen Bestimmung des Todeszeitpunktes beim Menschen zu forschen. Wie bei Walters Messungen von Hirnströmungen, so kamen bei beiden Forschungsprojekten Vogels Haut- und Tiefenelektroden zur Anwendung, mittels derer biologisch-kybernetische Prozesse erfasst wurden. Vogels Berufstätigkeit als Physiker leitet sein wissenschaftliches Interesse auf die Funktionsweise neuro-physiologischer Reiz-Reaktionsmuster und die sich daraus ergebenden kybernetischen Prozesse. 

Schon bald sollten Peter Vogels wissenschaftliche und künstlerische Interessen in einem neuen Werkzyklus zusammenfinden. Angeregt durch die Versuche Grey Walters, experimentierte Vogel ab 1968 ausführlich mit dem Nachbau einer eigenen Machina Spekulatrix, die er für kybernetische Experimente einsetzte. In seinen privaten Notizen befindet sich bezüglich seiner Machina Spekulatrix die rückblickende Bemerkung:

„Da mich die kurze Lebenszeit der Batterien ärgerte, kam ich auf die Idee, sie mit Netzspannung zu versorgen und an die Wand zu hängen.“

Im Gesamtwerk Peter Vogels kann dies als ein weiterer Impuls für die Entwicklung seiner ersten interaktiven Wandobjekte verstanden werden. Im Jahre 1971 entsteht das Wandobjekt Der Gummischlauch, bei dem vor der bemalten Leinwand mit integrierter Photozelle und kleinem Elektromotor ein Gummischlauch befestigt ist, der beim Herantreten des Betrachters heftig herumzuwirbeln beginnt.
Der zeitliche Ablauf von Bewegung im Bild ist nun mit der räumlichen Annäherung und Reaktion des Betrachters verknüpft. Spätestens ab diesem Zeitpunkt entwickelt der künstlerische Autodidakt Vogel seine große Fragestellung von den kybernetischen Strukturen des Mensch-Maschine Verhältnisses, die ihn sein ganzes Leben lang beschäftigen sollte.
Ab etwa 1969 wandte sich Peter Vogel von der Ausführung traditioneller Malerei ab und widmete sich fortan der Entwicklung von ersten kybernetischen, mit konkreten Verhaltensstrukturen ausgestatteten Objekten.

„Die Objekte sollten vor allem ihre Reaktionsstruktur verändern können. ,Verhaltensänderung´, wie sie in psychologischen und physiologischen Vorgängen auftreten, wurden durch elektronische Schaltungen simuliert; so gab es zum Beispiel Objekte, die Habituation, den konditionierten Reflex oder ähnliche Vorgänge imitierten.“

Diese den Objekten eingegebenen Strukturen ermöglichen als Potentiale das Ansprecher bestimmter Reiz-Reaktionsabläufe.

ZUFALL UND SPIEL

In der vom Fluxus als Kunstbewegung ausgerufenen Befreiung vom traditionellen Kunstwerk, in der Aufhebung der Subjektivität des Schöpfungsprozesses in Duchamps Readymades und Stoppages, in der expliziten Einbeziehung des Zufalls in den Drip Paintings von Max Ernst und Jackson Pollock sowie in der Musik von John Cage und Steve Reich entdeckt Peter Vogel „eine nie gekannte Erweiterung der künstlerischen Möglichkeiten. (…) Künstlerische Aktionen erweiterten durch physische Handlungen die sinnliche Wahrnehmung, die Interaktion gibt dem Betrachter mehr Verantwortung in der Wahrnehmung des Werks.“

Schon bald entsprach das in seinen frühen Reiz-Reaktionsobjekten angelegte deterministische Verhalten nicht mehr der von Peter Vogel beobachteten Komplexität zeitlicher und qualitativer Veränderungen in biologisch-kybernetischen Systemen. Er selbst nennt „die Sprache, die hier (bei den Reaktionsobjekten) gesprochen wird, primitiv“ und führt in der Folge den Zufall in das Verhalten seiner Objekte ein.

In den Jahren 1970 bis 1975 experimentiert Peter Vogel mit neuen Beeinflussungs- und Reaktionsformen. Es entstehen zunächst Wandobjekte, die auf Licht und Schatten, auf Annäherung und Bewegung oder auf Geräusche reagieren. Die Reaktionen dieser Objekte erfolgen dabei unmittelbar oder verzögert, teilweise determiniert als Kettenreaktionen oder in ihrem Ablauf dem Zufall anheimgegeben.
Wenn die zeitliche Auslösung der Tonfolgen, Farbwechsel oder Bewegungen nicht mehr exakt vorausbestimmt und wiederholt werden kann, so kommt es bei mehrfacher Auslösung zu unkontrollierbaren, hochkomplexen Überlagerungen, die als veränderte Tonfolgen, Farbwechsel und Bewegungen wahrgenommen werden. Die nicht voraussehbaren Interaktionen des Betrachters erhöhen den Komplexitätsgrad in einem Maße, dass nie zweimal das gleiche Verhalten des Objekts erfolgen kann. Indem Peter Vogel seinen Objekten gezielt diesen Spielraum gibt, löst er das deterministische Reiz-Reaktionsschema zugunsten einer erweiterten Interaktion durch den Betrachter auf.

Die interaktiv steuerbaren Aktionen des Objekts verbinden sich mit den unvorhersehbaren, zufallsbestimmten Aktionen des Objekts zu einem beobachtbaren Gesamtverhalten, das vom Betrachter in Analogie zu einem lebenden Wesen nachempfunden werden kann. Dem Betrachter kommt hierbei die Rolle zu, das Objekt durch seine Interaktion zum Leben zu erwecken. Indem er durch die geschickte Variation seines Schattenwurfs nach Dauer und Häufigkeit akustische Prozesse mehr oder weniger kontrolliert in Gang setzt, gewinnt er den Eindruck, dass er das Verhalten des Objekts auch visuell nachvollziehen kann. Er tritt mit seinen Bewegungen in eine intensive räumliche Beziehung zum Objekt und ist dabei mit seinem Körper und allen seinen Sinnen auf das Objekt bezogen. In seinem genussvollen und neugierigen Erkunden der Möglichkeiten des Objekts, gewinnt er aber werden der dem Objekt innewohnenden aleatorischen Reaktionen niemals die vollständige Kontrolle über das Verhalten des Objekts. Diese eröffnet dem Betrachter vielfältige und variable Möglichkeiten der Bezugnahme, der Annäherung, der Kommunikation, des Austestens, des Lernens und Wiedererkennens und verführen ihn zu einem intelligenten Spielen mit den Strukturen des Objekts, zu einem spielerischen Experimentieren, in dem er seine eigenen Potenziale mit allen Sinnen – aisthesis in besonderer Weise erlebt und anregt.

IMPROVISATION UND PERFORMANCE

Peter Vogel hatte sich seit seiner Jugend mit Musik, Tanz und Theater beschäftigt. Nichts lag daher für ihn näher als die vor seinen flächigen Wandobjekten eingeschränkten Bewegungen des Betrachters in den Raum auszuweiten. Hierfür mussten die Objekte selbst im Raum wirksam werden, dreidimensional und von allen Seiten erfahrbar, Gleichzeitig musste dem Betrachter der Raum gegeben werden, in dem er sich bewegen konnte, um mit den Objekten in möglichst ungehinderter Weise zu interagieren. Nicht die angestrengte Betrachtung eines an der Wand hängende, begrenzten Bildobjekts, sondern die bewegte Aktion im offenen Raum sollte für eine stärkere Interaktion ausschlaggebend sein.

Es ist insbesondere die große Klanginstallation Musikalisch-Kybernetisches Environment,  mit der Peter Vogel entscheidende Erfahrungen für die Weiterentwicklung seines Werks gewinnt. Als Auftragsarbeit für die Donaueschinger Musiktage 1975 steht diese Environment am Übergang zu einer umfassenden Erweiterung seiner künstlerischen Tätigkeit als Choreograph, Musiker und Performer. Es besteht aus drei im Raum auf Sockeln platzierten meterhonen Stelen aus Metalldraht, Elektronikteile und Plexiglas; die durch die Bewegungen der Besucher angeregten integrierten Photo-Sensoren liefern die Steuersignale für einen Synthesizer im Hintergrund. Nach vielfachen Experimenten mit diesem Klang-Environment entsteht auf der Musikbiennale Zagreb 1977 mit der KASP-Gruppe die erste einer langen Folge von Tanzperformances. In der Verarbeitung und Weiterentwicklung dieser Erfahrungen mit professionellen Tänzern wie mit Laienpublikum erschafft Peter Vogel in den Folgejahren mehrere bis zu sechs Meter breite, horizontale Klangwände, die mit einer Vielzahl von Photozellen und abrufbaren Klangvorräten ausgestattet sind. Die Klänge werden nun nicht mehr in einem Synthesizer, sondern von der Elektronik der Klangwände selbst erzeugt: Durch wiederholtes, längeres oder kürzeres Abschatten der Photozellen können unbegrenzte Variationen sich überlagernder Klänge und Rhythmen geschaffen werden. Da die Einzeltöne und die Tonfolgen repetitiv angelegt sind, können diese Variationen zwar vom Tanzenden angestoßen und immer wieder von neuem aufgerufen, nicht aber in ihren vielfältigen Überlagerungen kontrolliert werden.

Auch in den ab den 1980er Jahren entwickelten, im Raum stehenden Klangobjekte, die oftmals als Turm oder Stele bezeichnet werden, ebenso wie in den späteren mit Saiten, Klöppeln, Glöckchen, Metallbüchsen, Holzplatten ausgestatteten und sogar mit kompletten Musikinstrumenten (Zithern, Trommeln) zusammengestellten Ensembles und großen Klangorchestern können die vom Künstler eingegebenen determinierten und offenen, aleatorischen Strukturen durch den Betrachter in unterschiedlichen Tonhöhen, Rhythmen, Tempi und Klangfarben zu Klingen gebracht werden. 

Für Peter Vogel ist jedoch das Zusammenspiel des Betrachters mit den Objekten grundsätzlich nicht Interpretation einer etwa vorgegebenen Musik, sondern reine Improvisation mit den vom Künstler im Objekt bereitgestellten Strukturen. Da er anders als ein Komponist keine Partitur vorgibt, sieht sich der Künstler auch keineswegs als Komponist einer bestimmten Musik. Er gibt dem agierenden Betrachter mit dem Objekt lediglich die Potenziale der Interaktion in die Hand, die dieser durch seine Improvisation zu immer neuen, immer anderen Klangfiguren und Rhythmen bringt. Das Werk ist in diesem Sinne niemals vollendet, es ist und bleibt von seiner Anlage her grundsätzlich offen für die jeweilig neuen Improvisationen des Betrachters, der durch seine Interaktion zum Mit-Autor des Werks wird.

Der Künstler tritt hinter seinem Werk zurück, das nur in der Interaktion des Betrachters seinen Ausdruck finden kann.

REDUKTION UND TRANSPARENZ

Peter Vogel hat jedes seiner Objekte von Grund auf selbst erdacht, entwickelt und getestet und vor allem hat er selbst seine Objekte aus elementaren Elektronikteilen, aus Dioden, Transistoren, Widerständen, Kondensatoren, Lampen, Lautsprechern etc. zusammengesetzt. Jedes einzelne Element ist für die angestrebte Funktion im elektronischen Regelkreis notwendig, keines ist zu viel, keines dient der Dekoration, der gesteigerten Ästhetisierung. Die optimale Form ergibt sich aus der Funktion des Objekts, wobei der Sichtbarkeit aller Elemente und Strukturen hoher Wert beigemessen wird, In dieser äußersten Reduktion auf notwendige Elemente in funktional logischen Anordnungen, in denen Metalldrähte den elektronischen Elementen gleichzeitig die elektrischen Verknüpfungen und das nötige statische Gerüst liefern, entstehen seine filigranen Klangobjekte, seine Licht- und Bewegungsobjekte als spielbare transparente Skulpturen, bei denen kein Element im Verborgenen wirkt.

In dieser Immer angestrebten Transparenz ist auch der Grund zu finden, warum sich Peter Vogel in seinem Werk dem allumfassenden Trend der Digitalisierung nicht angeschlossen hat. Als Künstler und Forscher wollte er in jeder Hinsicht frei sein von der vorgegebenen, eingeschränkten Funktionalität eingekaufter Computer-Hardware und unaufhörlich im Interesse ihrer Vermarktung aufgebesserten Software. Seit den 1960er Jahren hatte er sich gegen das Prinzip der Mystifizierung in Kunst und Naturwissenschaft gewandt. Seine Arbeit vertrug keine Black Box, in der Funktionen im Verborgenen wirken, Seine Objekte sind auf äußerste Transparenz angelegt. In diesem gezielten Verzicht Vogels auf die nur scheinbar bequemen Fertiglösungen des Digitalen und in der Reduktion auf konkrete Funktionalitäten liegt für den Betrachter seiner Objekte die Chance, sein eigenes Verhalten in der Interaktion transparent zu erleben. Vogels bisher zu wenig erkanntes großes Verdienst als Forscher und als Künstler liegt in der unausgesetzten Beständigkeit und Bandbreite, mit denen er die Tiefen und die Variationen interaktiven Handelns ausgelotet hat. 

Wenn sound art in den beiden letzten Jahrzehnten ein fester Bestandteil vieler Festivals und Ausstellungen geworden ist, wenn Klangkunst heute wie selbstverständlich an vielen Hochschulen gelehrt wird, und wenn elektronisch erzeugte Klänge seit Jahren als hochentwickelte Signale der globalen Kommunikation in allen interaktiven Medien wirksam sind, si ist daran zu erinnern, dass Peter Vogel als einer der großen Pioniere, als Forscher und als Künstler, den elektronischen Klang als Medium in die Kunst eingeführt und ihn in seinen interaktiven Formen weiterentwickelt hat.

Man kann sich de großen Werk Peter Vogels von zwei Seiten her nähern, von der sound art her, und von der Bildenden Kunst her. Letztlich aber führt, ganz wie bei seinen Objekten, jede einseitige Annäherung zu einer Verkürzung, die diesem Werk nicht gerecht wird. Denn die zutiefst durch die Wissenschaft befruchtete Kunst Peter Vogels verbindet sound art und Bildende Kunst, Musik, Tanz, Physik, Psychologie und Hirnforschung zu einem Gesamtkunstwerk, in dem alle Gattungen und Disziplinen gleichzeitig zum Klingen kommen.

„Le cerveau va jusqu’au bout des doigts – das Gehirn breitet sich bis in die Fingerspitzen aus – es ist überall im Körper – solche Dinge kann man in meinem Werk erfahren.“

Das gehirn reicht bis in die Fingerspitzen

Von Bernhard Serexhe.

MACHINA SPECULATRIX, 1968
PETER VOGEL, ZEHNKLANG, 1977
ANALOGIE ZU NERVEN-NETZEN
REAKTIONSPARTITUR VON HOMMAGE À LIGETI
TANZFABRIK KREUZBERG, BERLIN 1981